Eine Lauftherapie hilft gestressten Managern beim
Abschalten
Von Yvonne Spanier
Die Anforderungen in Beruf und Privatleben
überfordern viele Menschen. Sie sind abgespannt, müde und nervös.
Der Stress zerstört das seelische Gleichgewicht. Der Körper
reagiert mit Kopfschmerzen oder Verspannungen. Nicht selten kommen
Bluthochdruck und Kurzatmigkeit hinzu.
„Ich war körperlich am Ende und wusste, dass ich mein Leben
ändern musste“, schildert Jürgen Wurm (46) seine Situation. Als
Manager des Hamburger Instituts für Sozial- und Bildungspolitik
stand er beruflich derart unter Stress, dass er gesundheitliche
Schäden davontrug. Nach einer Operation begriff Wurm endlich, dass
er seine Fitness Step by Step wieder aufbauen musste, um belastbar
zu sein. Ich suchte deshalb eine sportliche Betätigung, mit der ich
meine Ausdauer und Kondition trainieren konnte.“ So kam er zur
Lauftherapie: sanftes aerobisches Laufen nach der Methode von
Professor Dr. Weber.
Der Wegbereiter der Lauftherapie in Deutschland gründete 1988 das
Deutsche Lauftherapiezentrum e.V. (DLZ). „Gesund ist der Mensch
von unten nach oben . . .“ Unter dieses Motto
stellte Alexander Weber seine Gesundheit und Fitness. Gewöhnlich
läuft er drei- bis viermal wöchentlich zwischen 40 und 90 Minuten,
um fit zu bleiben. Fit sein bedeutet Lebensfreude, Lebensqualität
und Lebensgenuss. Und das bis ins hohe Alter. „An jedem Tag, an
dem ich meine Laufsachen anziehe. werde ich neu geboren“, sagt der
66-Jährige. Er läuft seit seinem 30. Lebensjahr. In den 60er
Jahren war er wissenschaftlicher Assistent an der Universität und
arbeitete mehr als zwölf Stunden am Tag. „Das schlaucht und die
Gesundheit leidet“, erinnert sich der Professor. Zur
Stresskontrolle begann er mit dem Laufen und kann es seitdem nicht
mehr lassen.
Der Professor und sein Paderborner Verein sehen ihre Aufgabe darin,
die Idee der Selbsthilfe weiterzugeben. Im Laufe der Jahre wurden zu
diesem Zweck rund 250 Lauftherapeuten ausgebildet.
Einer von ihnen ist Dr. Rüdiger Carlberg aus Amelinghausen.
Hauptsächlich für Manager und Führungskräfte bietet er das
therapeutische Laufen als Ausgleich an, um die Gelenkbeweglichkeit
wieder herzustellen. Der Zahnarzt war selbst zu Jugendzeiten ein
guter Sportler – bis zum Abitur: „Dann begann während des
Studiums meine unsportliche Laufbahn: studieren und pausieren bei
Alkohol und Partys“, so der 45-Jährige. Als das übergewicht ihn
aus der Puste brachte und er seine Wohnung im fünften Stock nur
noch mit Erholungspausen erreichte, kam die Einsicht: „Das kann
nicht sein, ich muss wieder etwas tun!“ Und Carlberg tat etwas: Er
lief um seine Gesundheit. Zuerst zweimal die Woche und dann dreimal
etwa eine halbe Stunde. 1990 sah er, wie die Marathonläufer in
Berlin zum ersten Mal nach der Wiedervereinigung durch das
Brandenburger Tor liefen. Carlberg war begeistert. Das wollte er
auch schaffen. Er kaufte sich das Buch „Marathontraining“ von
Manfred Steffney und fing an. „Zuerst lief ich zehn Kilometer, und
dann steigerte ich mich langsam.“ 1991 nahm der damals 32-Jährige
dann am Berlin-Marathon teil. Seine Begeisterung am Laufsport
begleitete ihn nun auf allen Wegen, und als Therapeut gibt er sie
weiter – zum Beispiel an Jürgen Wurm. „Innerhalb von vier
Monaten war ich unter Anleitung so weit, dass ich eineinhalb Stunden
laufen konnte. Dauerlauf ohne Pause“, betont Wurm, der zurzeit als
freier Mitarbeiter in der Berliner Wirtschaftsakademie Paetec
beschäftigt ist, nicht ohne Stolz. Seit diesem Erfolgserlebnis vor
einem Jahr fühlt sich der 46-Jährige ausgeglichener und ist
konzentrierter. Er ist davon überzeugt, dass diese
Bewegungstherapie jedem Menschen mehr Selbstbewusstsein gibt. Auch
Arbeitslosen, die schon den Mut verloren haben. „Paetec steht mit
dem Arbeitsamt Berlin Süd-West in Verbindung, um ein solches
Projekt zu starten“, so Wurm. Doch Laufen allein reicht nicht, um
fit zu sein. Der Lauftherapeut achtet auch auf seine Ernährung und
trinkt mindestens zwei Liter Wasser am Tag. Erstrebenswert sei der
Einklang zwischen Körper, Geist und Seele. Erst dann gehe die
Therapie auf.
Das bestätigt Alexander Weber: „Wenn man länger läuft, geht
es nicht mehr um die Gesundheit allein, sondern man läuft für das
seelische Gleichgewicht.“ Das so genannte sanfte Laufen hat viele
positive „Nebenwirkungen“: Es kann der Prophylaxe dienen oder
auch bei der Rehabilitation helfen. Laufen ist Arbeit oder Spiel.
Auf die richtige Mischung und Anwendung kommt es an. Der Professor
zitiert in der DLZ-Rundschau (1/02) dazu George Sheehan: „Horch in
deinen Körper!“ Der Amerikaner (1918–1993) war einer der ersten
Wegbereiter der Lauftherapie. Und seine Erkenntnis begeistert noch
heute: Wer gelernt hat, die Signale seines Körpers bewusst
wahrzunehmen und ehrlich zu deuten, macht das Richtige.
|